Bericht der Stadtverwaltung Hamm (Westf.) über die Umstellung der Gemeindeverwaltung auf die Kriegsaufgaben

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Der Bericht wird zitiert nach "Jahrestage 1989 z.B. 1. September 1939. Ausstellung des Stadtarchivs Hamm im Bunker am Vorheiderweg 3.-24. September 1989. O.O. (Hamm) o.J. (1989)", S. 8 - 12:

Am 6.7.40 erstattet

Bericht

der Stadtverwaltung Hamm (Westf.)

über die Umstellung der Gemeindeverwaltung auf die Kriegsaufgaben:

Als Ende August 1939 die Verhältnisse in dem ehemals geraubten deutschen Gebiete im Osten des Reiches sich offensichtlich der Krise näherten, galt es für die Gemeindeverwaltung, die in längerer Arbeit vorbereitete Umstellung auf einen Krieg in die Wirklichkeit umzusetzen. Das galt in erster Linie für den Einsatz der Verbrauchsregelung aller lebenswichtigen Bedarfsgüter und die Aufnahme der Arbeiten zur Versorgung der Angehörigen der zum Wehrdienst einberufenen Ersatzkräfte (Familien-Unterhalt).

Die von der Reichsregierung angeordnete Zwangsbewirtschaftung der Verbrauchsgüter erfolgte schlagartig. Der vorbereitete Apparat wurde, unter Einschaltung mehrerer Hundert ehrenamtlicher Kräfte, in Gang gesetzt. Die Verteilung der für die erste Verbrauchsperiode vorgesehen gewesenen Bezugsscheine für Lebensmittel erfolgte in kürzester Zeit am Montag, dem ersten Tage der Zwangsbewirtschaftung, zu einem grossen Teil aber bereits am vorhergehenden Sonntage. Unumgänglich gebliebene Differenzen hinsichtlich der Anzahl der jedem Haushalt zustehenden Lebensmittelbezugsscheine wurden mühelos beseitigt. Die nach kurzer Zeit angeordnete Zwangswirtschaft der Spinnstoffe und Lederwaren, die im Aufbau nicht so vorbereitet war wie die Lebensmittelbewirtschaftung, brachte in den ersten Tagen einen Ansturm auf die Bezugscheinstelle, die mangels geeigneter Räume und Vororganisation zunächst im grossen Saale des Stadthauses untergebracht wurde. Da die Aufgaben dieser Stelle sich gewaltig steigerten, wurden Ausgabestellen in den einzelnen Stadtteilen eingerichtet, denen auch die Ausgabestellen für Lebensmittelbezugscheine eingegliedert wurden. Wenn die Arbeiten in den Bezugscheinstellen für Spinnstoffe und Lederwaren sich nicht mit der an sich wünschenswert gewesenen Ordnung vollzogen, so lag das offensichtlich nicht allein an der ungenügenden Vorbereitung, vielmehr noch an dem leider so häufig festgestellten Mangel an Disziplin auf Seiten der kaufenden Bevölkerung. Es muss hier frei angesprochen werden, dass ein grosser Teil der Bezugschein-Antragsteller offensichtlich Angstkäufe tätigten bzw. zu tätigen beabsichtigte. Es ist festgestellt worden, dass in der ersten Zeit beantragte Bezugscheine überhaupt nicht abgeholt , erteilte Bezugscheine überhaupt nicht eingelöst und andere nach Wochen wieder zurückgenommen wurden, zum Teil mit der Begründung, nicht das nötige Geld zum Barkauf gehabt zu haben. Dass es in den Bezugscheinstellen offensichtlich zu unliebsamen Auftritten zwischen dem Personal und dem Publikum untereinander kam, ist zum grössten Teil auf tatsächliche Angstpsychose, zum geringeren Teile auf die übermässige Beanspruchung des Abfertigungspersonals, das in den ersten Wochen eine ansehnliche Nervenprobe zu überstehen hatte, zurückzuführen. Heute läuft die Bezugscheinausgabe in geregelten Bahnen, nachdem die Erfahrungen der ersten Wochen ausgewertet worden sind und die Bevölkerung zu der Erkenntnis gekommen ist, dass Gründe zur Beunruhigung nicht mehr vorhanden sind. Das Vertrauen zur vorausschauenden Bewirtschaftung ist heute in die Bevölkerung eigekehrt.

Auf personellem Gebiet hat sich die Umstellung innerhalb der Stadtverwaltung, wenigstens in der ersten Kriegswoche, kaum bemerkbar gemacht. Die wenigen Urlauber waren, infolge der vorhergegangenen Krisenzeit, fast ausnahmslos wieder zur Stelle. Die Arbeiten der in den ersten Tagen einberufenen Gefolgschaftsmitglieder konnten für einige Zeit von den Zurückgebliebenen übernommen werden. Überhaupt gestaltete sich die Frage der Ersatz- und Ergänzungskräfte anfangs nicht so sehr schwierig, da Arbeitsangebote in Fülle vorlagen. Die Auswahl war umsomehr schwierig, da sich die Meldenden meist aus den durch Krieg aus der Bahn Geworfenen, vornehmlich Handelsvertreter und Angehörige sonstiger freier Berufe, rekrutierten. Ältere Leute waren unter den Anwärtern vorherrschend. Mit der Zeit, da die Einberufungen von Beamten und Angestellten zum Wehrdienst sich vermehrten, wurde die Frage der Ersatzgestellung schwieriger; es musste mehr denn vorher auf weibliche Bewerber zurückgegriffen werden. Die in dieser Hinsicht geübte vorsichtige Personalpolitik, abgestellt auf die Prüfung der Bewerber hinsichtlich über Vorbildung und Leistungen, hat dazu geführt, dass der Verwaltungsapparat schlecht und recht läuft. Rund 30 v.H. des Personals der Verwaltung ist zum Wehrdienst, Sicherheits- und Hilfsdienst, Aufbaudienst im Osten und zu sonstigen wehrwirtschaftlichen Dienstleistungen herausgezogen worden. Der Rest setzt sich zusammen aus älteren, weiblichen und überhaupt wehrdienstunfähigen Personen. Annähernd 100 Aushilfs- und Ersatzkräfte sind für die Dauer des Krieges eingestellt worden. Ein verschwindend geringer Prozentsatz wehrdienstpflichtiger Personen ist auf Antrag befristet uK. gestellt worden.

Die Bearbeitung der Anträge auf Familienunterhalt erfolgt fliessend und ohne nenneswerte Hindernisse. Der Übergang auf dieses Gebiet, für dessen Bewältigung wenigstens generell vorausschauend vorgearbeitet worden war, gestaltete sich ohne Schwierigkeiten trotz des fast 50prozentigen Abganges an eingearbeitetem Personal. Das Wohlfahrtsamt betreut zur Zeit ca. 3000 Fälle von Familienunterhalt. Die Auszahlung der Unterhaltsgelder erfolgt allmonatlich in einem eigens dazu bereitgestellten grossen Saal, die Abfertigung der Unterhaltsempfänger wickelt sich vollständig reibungslos ab.

Die finanzielle Lage der Stadt ist in den ersten Kriegsmonaten kaum merklich beeinflusst worden. Die Steuereingänge sind - auch heute noch im Grossen und Ganzen stabil geblieben.

Lediglich die später einsetzenden und ständig ansteigenden Ausgaben für den Familienunterhalt, für die Besoldung der Ersatz- und Ergänzungskräfte, die Weiterzahlung der Gehälter und Löhne an die zum Wehrdienst Einberufenen, im Besonderen aber die den Gemeinden auferlegte Kriegsabgabe haben es vermocht, dass der Haushaltsplan für das Haushaltsjahr 1940 mit einem grösseren Fehlbetrag abschliessen musste.

Auf anderen Gebieten der gemeindlichen Verwaltung ist der Übergang auf die Kriegsaufgaben kaum merklich in Erscheinung getreten. Die Bautätigkeit ist fast vollständig zum Erliegen gekommen, die Arbeiten der Planung und Vermessung ruhen vollständig. Auf dem Gebiete der Kulturpflege haben die Übergangsschwierigkeiten erst im Laufe der eingestellt und zwar bei den Musik- und Theaterveranstaltungen infolge der Verkehrslage und des empfindlichen Mangels an vollwertigen Musikern. Museum und Volksbücherei haben ihren Betrieb aufrecht erhalten. Der Zuspruch zu diesen Einrichtungen ist naturgemäss zurückgegangen.

Neue Aufgabe erwuchsen der Gemeinde ferner durch das Einquartierungswesen, das in den ersten Kriegsmonaten und vor allem zu Beginn der Offensive im Westn besonders stark in Erscheinung trat. Die Unterbringung der durchziehenden Truppen vollzog sich, ohne besondere Schwierigkeiten, nicht zuletzt dank des Vorhandenseins grösserer Kasernenanlagen und unter Zuhilfenahme verschiedener Schulen und einiger grösserer Privaträume (Säle). Im gegeben Zeitpunkt ist das Problem des Quartierwesens unwesentlich. Die Mitwirkung der Gemeinde bei der Feststellung der Entschädigungen für Leistungen an die Wehrmacht vollzog sich im gegebenen Rahmen. Die z.Zt. noch laufenden Entschädigungsfälle befinden sich im Stadium der Entscheidung. In letzter Zeit sind hinzugetreten die durch die zahlreicehn feindlichen Fliegerangriffe aufgetretenen Schadensfälle. Wenn an sich die Gemeinde in diesen Fällen auch nur Antragstelle ist, so musste im Interesse der Aufrechterhaltung der inneren Front auch gegenwärtig durch Leitung der Instandsetzungsarbeiten und Kostenbevorschussung tatkräftig und schnell eingegriffen werden. Es wurden damit zu einem gewissen Teil Kriegsaufgaben von besonderer Bedeutung geleistet.

Zusammenfassend kann gesagt werden: Trotz der grossen und neuen Aufgaben, die der Stadtverwaltung während der Krieges zugefallen sind, und obwohl sie diese Aufgaben unter schwierigen personellen Verhältnissen anfassen und durchführen musste, ist es infolge der Einsatzbereitschaft aller im öffentlichen Dienst stehenden Arbeitskräfte gelungen, das zu leisten, was von der inneren Front erwartet wurde.

Bemerkungen

Die Zusammenfassung des Berichts aus dem Jahr 1940 sieht trotz großer Herausforderungen für die Stadtverwaltung, hervorgerufen durch den entfesselten 2. Weltkrieg, eine leistungsfähige Verwaltung, die die innere Front, d.h. die Ruhe innerhalb der Bevölkerung, aufrecht hält. Die Belastungen im ersten Kriegsjahr waren - gemessen an dem, was auf Hamm noch zukommen sollte - gering. Tumulte bei der Vergabe von Bezugscheinen für Lederwaren, d.h. vornehmlich für Schuhe, Aufwendungen und Behinderungen durch zu verlegende Truppen, erste Fliegerangriffe feindlicher Flugzeuge auf das Stadtgebiet mit überschaubaren Schäden, werden ebenso angesprochen wie Einschränkungen im Kulturleben bei Konzert und Theater.

Ansonsten gibt sich die Verwaltung in dem Bericht als gut vorbereitet, wenn auch personell und finanziell eingeschränkt. Im Rückblick war der Kriegsausbruch gegen Polen verwaltungsintern perfekt vorbereitet, da man "schlagartig" in der Lage war, die Lebensmittelversorgung auf Kriegswirtschaft umzustellen. Ein Zukunftsperspektive enthält der Bericht nicht, z.B. keine Hinweise zur Verbesserung des Schutzes der Bevölkerung vor Luftangriffen.

Literatur